2016 – Valentines WarmUp

Trotzig klammern sich drei rote Rosen im Scheinwerferlicht an die Seite des Lawinenrucksacks. Nach rasanter Anreise werden drei ambitionierte Skibergsteiger von den frostigen Ausläufern der garmischen Bergnacht empfangen. Wortkarg und entschlossen macht sich die Gruppe bald auf, zu entdecken, was noch lange in der Dunkelheit verborgen liegt: den Gipfel der Alpspitze – steingewordenes Abbild und Magnet des Sommertourismus. Der Aufstieg führt über hartgefrorenen Untergrund weit hinaus über die Dächer des noch schlafenden Garmischs. Es ist ein besonderes Gefühl, die sonst so dicht befahrene Olympia-Abfahrt Kandahar in Stille und Einsamkeit zu erleben. Noch ist es dunkel und nur die Notbeleuchtung ferngelegener Bergstationen lässt das ambitionierte Ziel abschätzen. Es ist die Tage zuvor einiges an Schnee gefallen – eigentlich ein Grund sich auf schillernde Abfahrten im Pulver zu freuen. Doch alle drei wissen wir um das Risiko, welches der Wind in diese Gleichung mitbringt. Unsere düstere Vorahnung soll uns den weiten Weg zum Gipfel begleiten und so verläuft der steile Anstieg in andächtiger Stille – möglicherweise liegt es auch am Blick auf das Höhenprofil, das uns nach 1h bereits gute 600hm gönnt. Langsam fallende, schwere Schneeflocken bedecken schon bald die Spuren unseres Aufstiegs, als wollen sie unsere Tour vor den ersten Sonnenstrahlen verbergen.

Ehrgeizig halten wir unser Tempo bei und lassen schon bald die präparierten Gefilde hinter uns um über einen verwunschenen Winterwanderweg zwischen schneebedeckten Tannen den Rücken des Kreuzeck zu erklimmen. Wir gehen konzentriert und sind in den Rhythmus der Bewegung vertieft, sodass wir es nur an den sich ändernden Lichtverhältnissen bemerken, als wir den Wald verlassen. Vor uns türmt sich nun majestätisch die Felspyramide der Alpspitze in den Morgenhimmel. Kurz verharren wir vor diesem Anblick und lassen den Blick über die flankierenden Gipfel der Wettersteinkette schweifen, als der im Tal verkehrende Zug unsere Andacht wie zur Warnung mit einem schrillen Pfeifen auflöst. Es geht weiter, vorbei an stummen Almen und Hütten, welche noch darauf warten, von Ihren Wirten geweckt zu werden. Beflügelt vom Anblick der Alpspitze zieht es uns in Windeseile immer weiter zum Einstieg der Nordwand. Wäre da nicht dieser Wind – kritisch beobachten wir, wie der Schnee an den Verwechtungen des Grates einen Teppich aus diffusen Windfahnen auffährt. Dieses Naturschauspiel verleiht der Alpspitze aus unserem Blickwinkel nahe am Fuße der Wand einen hochalpinen Charakter und erinnert an die Eindrücke der Westalpen. Wir wollen uns unserer Sache weiter sicher sein und erblicken oberhalb der Hochalm die sich bedrohlich aufrichtende Schulter der Bernadeinspitze, die sich wie ein vermeintlich unüberwindbares Hindernis zwischen uns und den Gipfel der Alpspitze drängt.

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Der frisch gefallene Schnee bremst unseren Aufstieg schon bald und die Spurarbeit im steil abfallenden Gelände verlangt trotz vorausschauender Spurwahl einiges an Kräftereserven. Kurz halten wir inne um über den weiteren Anstieg zu beraten, als die Sonne zwischen den Wolken hervorbricht und uns die veränderten Sichtverhältnisse erkennen lassen, dass wir uns inmitten einer kürzlich abgegangenen Lawine befinden – kein guter Platz um länger zu verweilen. Die immer stärker werdenden Winde in höheren Lagen drücken kalte Luft aus dem Oberkar herab zu uns. Dazu sendet uns der Berg über die Bernadeinwand einige Steine und kleinere Schneeabgänge, sodass wir an einer weniger exponierten Stelle Jacken und Helme anlegen und die Skier auf den Rücken nehmen. Im steilen Gelände fällt die Fortbewegung zunehmend schwerer und bald auf allen Vieren gelingt es uns nur noch selten einen Rhythmus zu finden. Zu oft sackt der vermeintlich sichere Tritt durch die losen Schneeschichten der Wintermonate und der Griff am eisbedeckten Fels gibt nur scheinbare Sicherheit. Der Blick nach oben lässt noch lange nicht auf Besserung hoffen und erscheint doch deutlich angenehmer als der Gedanke an den Abgrund und die bedrohliche Steilwand unter uns.

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Am Einsteig der Bernadeinwand erlaubt ein freigelegter Griff des Klettersteigs eine kurze Rast und wir lassen den Blick in der Ferne über die sonnigen Hänge des Skigebiets kreisen. Ganz am Horizont erahnen wir hinter den nebelbedeckten Ufern des Starnberger Sees unter einer diffusen Schlechtwetterwolke die Landeshauptstadt.

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Nocheinmal durchatmen in der sicheren Rast ehe es bald senkrecht hinauf geht. Die Ski machen das Umgreifen an einigen Stellen schwierig, da sie am Fels anstehen und blockieren. Der Regen der vergangenen Tage hat hier zur Ambition sein Übriges getan und wir finden kaum einen Fels der nicht mit einer Eisschicht versehen ist – ein Hoch auf den Organisator der am Parkplatz für Steigeisen und Pickel keine Notwendigkeit sah. Doch für Diskussionen bleibt in der Rinne wenig Zeit, zu präsent ist das Risiko durch Schneeabgänge und Steinschlag. In sicherem Abstand bewältigt jeder in seinem Tempo die noch verbleibenden Meter bis zum Joch, an welchem die Sonne bereits wartet. Der Ausstieg aus dem dunkelblauen Schatten und der eisigen Kälte der verglasten Griffe und Tritte hinaus in das mittlerweile kraftvolle Licht der Sonne wirkt beinah surreal und überschüttet uns alle mit Endorphinen. Ich bin froh, als die Gruppe vollzählig am Joch erscheint und nach einem kurzen Moment des Luftholens entschlossenes Vertrauen in die Gesichter zurückkehrt.

Ein Blick auf das Bild, welches der Wind in den Schnee gezeichnet hat, bestätigt die Einschätzung der Lawinensituation einmal mehr und rückt das nun schon sichtbare Gipfelkreuz wieder in weite Ferne. Wir beschließen eine defensive Aufstiegsroute zu wählen und den kritischen Hang oberhalb des Oberkars aus der Nähe und von oben aus dem Grat heraus zu bewerten. Weit entfernt bewegen sich drei schwarze Silhouetten mühsam entlang des Grats. Immer wieder scheinen sie gezwungen sein zu verharren, als Windhosen über sie hinwegjagen – ein sehr dramatisches Bild. Dann und wann erkennen wir schemenhaft eine Aufstiegsspur, welche noch nicht vom Wind verdeckt wurde. Offenbar ist die Gruppe vor uns mit der ersten Seilbahn bis zum Fuße des Berges gekommen.

Als schließlich wir den Fuß des Grates erreichen, ist die Gruppe bereits beinah am Gipfel. Eine beklemmende Stimmung befällt uns, als wir nun den Abfahrtshang in vollem Format betrachten. Der Berg fällt hier in Etappen tief ab in das flankierende Kar. Als wolle ein Lehrbuch zum Spot zitiert werden, finden wir in diesem Hang einige der ernsthaften Anzeichen für ein starkes Lawinenrisiko. Intensive Regenschauer hatten sich hier in der zurückliegenden Woche bei orkanartigen Winden mit Schneefall vermengt. Die direkte Sonneneinstrahlung liefert dazu das Übrige.

Die Schritte auf dem Grat sind beschwerlich, und die Ski am Rucksack bieten dem Wind eine dankbare Angriffsfläche. Einige Male ertappe ich mich selbst dabei, wie ich wenig souverän durch einen hastigen Ausgleichsschritt meinen Stand wieder zu fangen versuche und dabei unweigerlich in die senkrecht abfallenden Rinnen des Reintals blicke. Oft bin ich diesen Weg im Sommer gegangen und weiß deshalb um die zahlreichen Kreuze und Gedenktafeln, welche nun unter dem Schnee verborgen sind und welche ich in Gedanken nun besser auch dort belasse. Mit jedem Höhenmeter den wir zurückliegen, wird die Stimmung nun klammer. Eine Entscheidung muss getroffen werden.

Zu verlockend ist der Nahe Gipfel und dynamisch die Stimmung unter uns jungen Skibergsteigern, als dass wir uns mit einer Entscheidung leicht tun würden. Wir besinnen uns dann doch, weshalb wir hier sind: Valentines WarmUp – und das am besten bei voller Gesundheit und Bewusstsein. Die Verständigung am Grat wird durch den aufschnellenden Wind zunehmend schwieriger und so ist die Diskussion kurz und es fällt eine Einsame und schwere Entscheidung: Wir steigen den Grat zurück. Noch sind wir keine 10 Meter weit, als uns der Berg Recht gibt. Die Gruppe über uns hat den Gipfel hinter sich gelassen und nähert sich dem Abfahrtshang. Die Spurwahl legt nahe, dass auch sie sich über das hohe Risiko gewahr sind. Nur zögernd tastet sich der erste voran, als er bei einem verzagten Schwung die ersten Schneemassen in Bewegung setzt. Über ein Felsband bahnt sich nun scheinbar unaufhaltsam ein erster Abgang in den Kessel des Kars. Zerrissen durch den Wind erreichen uns nur Bruchstücke der Kommunikation der Gruppe, jedoch erkennen wir an den schrillen Stimmen schnell, wie ernst die Situation ist. Im Steilstück scheint der Schnee vollständig abgeblassen zu sein und der Abfahrende erzeugt wenig elegantes Kratzen, als er zaudernd den Hang quert. Der Zweite der Gruppe versucht nun den Haupthang durch eine Rinne zu umgehen – und stürzt. Wir alle starren gebannt hinüber, als er durch ein Steinband das Gleichgewicht verliert und im Staub des aufgewirbelten Schnees verschwindet. Schier endlose Sekunden vergehen, ehe erkennbar wird, dass der Hauptteil des abgegangenen Schnees unter ihm ins Tal gerutscht war und er zwischen zwei Felsen zum Stehen kam.

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Nun nichts wie absteigen und heraus dem Oberkar. Konzentriert bewegen wir uns zurück. Als ich in die Ski einsteige bin ich erleichtert, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben. Zugegebenermaßen blicken wir noch einmal wehmütig hinauf zum Gipfel, ehe wir dann mit herrlichen Schwüngen durch den neugefallenen Schnee in Richtung der Schöngänge abschwingen. Der Gipfeldrang ist zu groß, als dass wir nicht doch noch die Bernadeinspitze besuchen wollten. Dort angekommen gibt es sein sehr herzliches Bergheil und Blicke der Erleichterung. Andächtig beobachten wir die Böen am Gipfel der Alpspitze, als die Stille des Moments durch den harten Takt eines Helikopters zerschlagen wird. Dicht über unseren Köpfen brummt er vorbei in Richtung des Lawinenhangs.

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Wir werden Zeuge, wie an mehreren Stellen Skibergsteiger mit der Winde ausgeflogen werden. Diesen Eindruck verarbeitend, legen wir unsere Rosen am Gipfelkreuz ab und machen uns auf, über die Schönhänge ins Tal zu schwingen. Die Kulisse ist malerisch und die stürmischen Böen erreichen uns nicht mehr, als wir zwischen Latschenbüschen und Zirbengehölz den Puderschnee zerschneiden.

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Uli und Lucas laufen noch einmal zu Hochformen auf und nutzen das Gelände für waghalsige Powderdrops, ehe wir in gekonnt vagabundischer Weise die Aufstiegshilfen des letzten Gegenhangs in Anspruch nehmen.

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Zügig und souverän geht es nun zwischen den übrigen Pistenteilnehmern hindurch in Richtung der Kreuzeckalm. Dort angekommen, genießen wir den Blick auf die Alpspitze und stoßen gemeinsam an. Ein bisschen verklärt darüber, dass wir so kurz unterhalb des Gipfels doch noch umkehren mussten – und dabei erfüllt und zufrieden, den Stolz überwunden und richtig entschieden zu haben.

Der immer noch kreisende Helikopter gibt uns Recht, als wir uns schließlich die letzten Pistenkilometer der Kandahar hinabstürzen und die Heimfahrt antreten. Happy Valentine und Berg Heil!

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